Klimawandel und Reaktanz
Ich frage mich schon geraume Zeit, warum so viele Leute Hass auf die „Klimakleber“ schieben. Dass auf dem pr0 die Rechten, Klima- und Covidleugner fröhliche Urständ feiern überrascht mich jetzt nicht sonderlich, aber gestern und heute habe ich den Fehler gemacht und mal in die Kommentare unter zwei Telepolis-Artikeln geschaut.
Sowohl unter Das ist erst der Anfang: Die Tyrannei der Hitze auf der Nordhalbkugel als auch unter Forscher entsetzt über Folgen der Erderhitzung – und viel mehr in Pipeline tummeln sich die absoluten Vollhonks. Aus irgendeinem Grund hatte ich erwartet, dass bei Heise/Telepolis die Idiotendichte geringer ist als woanders, aber das scheint zumindest bei Artikeln rund ums Klima nicht (mehr) zu stimmen.
Auch im privaten Umfeld ändert sich das Verhältnis der Leute zur Ratio. Eine Schwester habe ich an die FDP verloren (da scheint es keine Hilfe mehr zu geben) die andere bildet sich anscheinend nur noch über TikTok ihre Meinung, was dazu geführt hat, dass sie mir neulich erklärt hat, dass die Klimakleber von nicht näher spezifizierten Organisationen für ihre Aktionen bezahlt werden. TikTok und die FDP passen jetzt vielleicht nicht auf den ersten Blick zum zweiten Teil der Überschrift (Reaktanz), aber ich denke, ich habe auch hier einen Zusammenhang gefunden, den ich gleich herleiten werde.
Last but not least habe ich am Samstag nach der Theatervorstellung von M. kurz mit einer 23 Jahre alten Frau (Mädchen trifft es angesichts der Schlichtheit wohl eher) gesprochen, die mir allen Ernstes erklärt hat, sie sieht das mit dem Klimawandel nicht als Problem, da sie sich auf jeden Fall anpassen wird. Sie sieht demzufolge auch keinen Grund, sich irgendwie einzuschränken oder was zu ändern, weil sich immer Umstände ändern und der Mensch sich immer angepasst hat. Wie sie vorhat, sich innerhalb von wenigen Jahren an über 40° Außentemperatur anzupassen konnte sie mir allerdings nicht erläutern.
Nun kann man ja versuchen, jeden Einzelfall dadurch zu erklären, dass die Person halt nicht vom Bildungssystem erreicht wurden (wobei auch spontane Vollverblödung keine Entschuldigung für eine FDP-Mitgliedschaft ist, wenn man nicht mindestens Millionär ist) aber insgesamt ist das Phänomen immer schwerer zu erklären. Mit Phänomen meine ich Leute, die gegen ihre eigenen Interessen agieren. Anstatt sich zu fragen, warum die Regierung nichts gegen den Klimawandel unternimmt, schiebt man Hass auf die, die einen darauf aufmerksam machen wollen.
Mittlerweile schiebe ich das Verhalten immer größerer Teile der Gesellschaft auf das psychologische Phänomen namens Reaktanz.
Psychologische Reaktanz ist die Motivation zur Wiederherstellung eingeengter oder eliminierter Freiheitsspielräume. Reaktanz wird in der Regel durch psychischen Druck (z. B. Nötigung, Drohungen, emotionale Argumentation) oder die Einschränkung von Freiheitsspielräumen (z. B. Verbote, Zensur) ausgelöst. Als Reaktanz im eigentlichen Sinne bezeichnet man dabei nicht das ausgelöste Verhalten, sondern die zugrunde liegende Motivation oder Einstellung.
- Wikipedia
Wenn man sich das Verhalten der Leute unter diesem Gesichtspunkt anschaut, ergibt vieles mehr Sinn. Auch das Glauben eigentlich nicht dummer Menschen an TikTok-Scheiße (Stichwort: Confirmation-Bias). Ich denke also, dass die Leute™ sich immer mehr durch den Klimawandel bzw. die Mahnungen davor sowie die Forderung, sich einzuschränken, bedrängt fühlen und nun genau mit dem Gegenteil dessen reagieren, was schlau wäre. Airbus und Boing haben beide zum Beispiel vor kurzem verkündet, dass sich die Größe der globalen Flugzeugflotte bis 2042 verdoppeln wird. Von Flightshame kann also absolut keine Rede sein, die Leute fliegen immer mehr und ohne Skrupel in den Urlaub, auch wenn sie da wie aktuell auf Rhodos unangenehm an die Folgen ihres Tuns erinnert werden könnten, wenn es ihnen nicht aus Trotz egal wäre.
Nun bleibt die Frage, was fängt man mit dieser Erkenntnis an?
Um derartige Effekte zu vermeiden, sind eine geeignete Informationspolitik, eine Partizipation der betroffenen Abteilungen und ggf. eine Schulung der Mitarbeiter notwendig. Durch diese Maßnahmen – eine gute Durchführung vorausgesetzt – lässt sich Reaktanz ebenso wie erlernte Hilflosigkeit oder Überkonformität nachweislich vermindern. Als besonders wichtig hat sich dabei die Möglichkeit zur Partizipation erwiesen.
Joa…. da sehe ich die Chancen bei den aktuell regierende Klientelpolitikern eher schlecht. Ich habe eher den Eindruck, dass bewusst mit diesen Mechaniken gespielt wird, in dem zum Beispiel fröhlich gegen die „Klimakleber“ gehetzt wird. Oder die Nazi-Verbrecher-Koalition in Niederösterreich, die sich fröhlich alter NS-Begrifflichkeiten bedient, alles nicht-„normale“ verurteilt, die Covid-Strafen zurückzahlen will und härtere Strafen für Klimaprotestierende fordert. Aktuell tendieren wir immer mehr zum Neopatrimonialismus (Kennzeichnende Bestandteile des Neopatrimonialismus sind Klientelismus und politische Patronage) wie die letzte Bananenrepuplik und mit der Machtergreifung vom Rittmeister Kickl (oder seinem Gegenstück aus der Allianz für Dummheit in der BRD) wird sich da sicher nichts zum Besseren wenden.
Nun gut, Problem erkannt ist in diesem Fall nicht Problem gebannt, aber vielleicht hilft es ja, wenn man nicht ganz so fassungslos der Verblödung gegenübersteht, sondern das Phänomen wenigstens einen Namen hat :)
Zum Abschluss, um nicht nur negative Stimmung zu verbreiten, habe ich hier noch ein Video von Omar el Ramo vong Twitter (das der Experte Musk jetzt in X umbenannt hat, vermutlich ging ihm der Untergang nicht schnell genug, also einfach mal die Marke wegwerfen), in dem er eine Rede vom Kurz-Ziehsohn Nehammer mit den richtigen Bildern unterlegt hat:
Danke an F. für den Tipp!
(Ja, der Video-Embedder ist kaputt, der Techniker ist informiert!)
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